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Burn-out
Umstrittene Diagnose
Von Inga Richter / Erstmals seit zehn Jahren sind einer Studie der Krankenkasse DAK-Gesundheit zufolge die Fehltage aufgrund der Diagnose Burn-out zurückgegangen. Gleichzeitig entfielen aber mehr Krankheitstage auf Depressionen. Dabei ist fraglich, ob sich diese beiden Diagnosen überhaupt so einfach unterscheiden lassen. Experten tun sich bei schon lange schwer bei der Frage, ob das »Ausgebrannt-Sein« ein echtes Leiden infolge einer ständigen Überlastung oder vielmehr die Fehldiagnose einer Depression ist.
Es war der amerikanische Psychoanalytiker Herbert J. Freudenberger, der 1974 die erste wissenschaftliche Arbeit zum Burn-out-Syndrom verfasste. Er selbst hatte jahrelang täglich zehn Stunden in seiner Praxis gearbeitet und sich anschließend bis in die Nacht hinein ehrenamtlich für drogensüchtige Jugendliche eingesetzt. »Je müder ich wurde, desto mehr trieb ich mich an«, schrieb Freudenberger. Trotz körperlicher und geistiger Erschöpfung konnte er nicht mehr schlafen, litt unter Kopfschmerzen, übermäßiger Reizbarkeit bis hin zu emotionalen Ausbrüchen. Aufhorchen ließ ihn, dass er diese und ähnliche Symptome auch bei anderen Mitarbeitern der Klinik bemerkte. In seiner Abhandlung mit dem Titel »Staff Burn-Out« verstand Freudenberger das Syndrom noch als Krise der sozial Engagierten, die es mit Menschen in belastenden Lebenssituationen zu tun hatten: Altenpfleger, Krankenschwestern und Ärzte
Das sollte sich bald ändern. Es folgten seine Bücher »Ausgebrannt. Die Krise der Erfolgreichen« (1981) und »Burn-out bei Frauen« (1992). »Überall dort, wo Menschen viel leisten, aber wenig Motivation und Unterstützung erfahren, wächst die Gefahr, dass die Psyche leidet und mit schwerer Erschöpfung reagiert,« so der Klappentext. Frauen seien besonders gefährdet aufgrund ihres typisch weiblichen Wunsches, es allen recht zu machen und geliebt werden zu wollen. »Es trifft vor allem die Menschen, die nicht Nein sagen können«, sagt Nicole Stoklossa vom Burn-out Kompetenzzentrum OWL in der Paderborner Praxis für Psychotherapie und Coaching.
Zu viele Pflichten
Erdrückt von der täglichen Last an Verpflichtungen fühlen sich die Betroffenen fremdgesteuert und unfähig, den anfallenden Aufgaben zu entfliehen - solange, bis sie körperlich und geistig zusammenbrechen. In den vergangenen vier Jahrzehnten stieg die Anzahl der Betroffenen unaufhörlich. Sind die Anforderungen des beruflichen und privaten Lebens tatsächlich so gewachsen, dass man nicht mehr Schritt halten kann? Oder hören die Menschen mehr in sich hinein, weil psychische Probleme kein Tabu mehr sind?
Es gibt viele prominente Beispiele: Der ehemalige Ministerpräsident von Brandenburg, Matthias Platzeck, trat aufgrund eines Burn-out nach zwei Hörstürzen, einem Nervenzusammenbruch und einem Schlaganfall zurück. Gleichzeitig stand er in der Kritik, am Desaster um den Berliner Flughafen beteiligt gewesen zu sein. Ski-Springer Sven Hannawald gab seine Karriere auf, weil ihn der Erfolgsdruck nicht mehr zur Ruhe kommen ließ. Fernsehkoch Tim Mälzer sagte in einer Talkshow, dass der Begriff Burn-out inzwischen inflationär benutzt würde. Er betonte, sich seinen Zusammenbruch »selbst erarbeitet« zu haben. Auch immer mehr Manager geraten der Konsensus-Analyse Asklepios zufolge durch Arbeitsverdichtung und Termindruck ans Ende ihrer Kraft.
Einfache Angestellte hingegen haben vielmehr mit dem Gefühl der Fremdbestimmung und der Nichtachtung ihrer Leistungen zu kämpfen. Das zumindest schloss man aus den Ergebnissen der Whitehall Studie II, in deren Rahmen seit 1985 der Gesundheitszustand von etwa 10.000 britischen Staatsbeamten untersucht wird. Unabhängig von anderen Risikofaktoren erkrankten und verstarben die britischen Staatsdiener umso früher und häufiger als ihre Vorgesetzten an Herzerkrankungen, je niedriger ihr Status und ihr Entscheidungsspielraum waren und je mehr Überstunden sie machten. Man stellte fest, dass insbesondere die Angestellten morgens erhöhte Spiegel des Stresshormons Cortisol im Blut aufwiesen, die am unteren Ende der Karriereleiter standen. »Burn-out ist eine äußerst ernstzunehmende Krankheit«, sagt Stoklossa, »ein dauerhaft erhöhter Level an Stresshormonen schwächt das Immunsystem.« Dadurch steige nicht nur die Anfälligkeit für Infekte, sondern auch das Risiko für andere Erkrankungen.
Krise im Berufsleben
»Das Gefühl der Unkontrollierbarkeit der eigenen beruflichen Entwicklung, der Druck zum stetigen Neulernen, subjektive Überforderung durch erhöhte Anforderungen oder durch zeitaufwändige Kontrollprozeduren im Arbeitskontext«, das sind laut Professor Dr. Frank Jacobi von der Psychologischen Hochschule Berlin und TU Dresden Risikofaktoren arbeitsbedingter psychischer Erkrankungen. Psychotherapeut Hans Joachim Thimm bezeichnete den Burn-out als Gratifikationskrise im Job, bei der es allerdings nicht nur um Geld ginge: »Es geht um Anerkennung und um einen sicheren Arbeitsplatz.« Verausgabung und Belohnung müssten sich die Waage halten. Die Realität in den meisten Arbeitsverhältnissen sieht allerdings anders aus.
Während einige Experten den Burn-out als Endpunkt eines jahrelangen Prozesses der Überforderung sehen, betrachten andere ihn als Modediagnose, welche dem Gesundheitssystem aufgrund der hohen Anzahl an Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen enorme Kosten abverlangt. Doch nicht nur das: »Letztlich verharmlost der Begriff Burn-out eine Depression«, sagte Psychiater Ulrich Hegerl, Leiter der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Leipzig, im Interview mit Spiegel Online. »Es ist sehr populär geworden, vom Ausgebrannt sein zu sprechen«, so Hegerl, »wahrscheinlich, weil wir alle glauben zu wissen, was damit gemeint ist.« Er warnt vor jener »Ausweichdiagnose«, die suggeriere, Urlaub und Schlaf könnten helfen.
Als Krankheit nicht anerkannt
Werde eine zugrunde liegende schwere und bisweilen sogar lebensgefährliche Depression nicht erkannt und falsch behandelt, seien solche Ratschläge höchst gefährlich: Viel Schlaf und Urlaub führen bei Depressiven zu einer Verschlimmerung der Symptome. Im DSM-5 (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders), einem psychiatrischen Klassifikationssystem, sucht man die Bezeichnung Burn-out bis heute vergeblich. Das bedeutet, das Syndrom ist als eigenständige Krankheit nicht anerkannt. Die ICD-10, die »internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme«, bezeichnet Burn-out unter dem Schlüssel Z70-Z76 als eines der »Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung«. Eine einheitliche und international anerkannte Definition existiert nicht.
»In der Psychotherapie dauert das Selbstverständnis für Neues sehr lange«, sagt Stoklossa. Aus einem Burn-out im Endstadium könne sich durchaus eine nicht-endogene Depression entwickeln. Auch überschneiden sich die Anzeichen in Bezug auf chronische Müdigkeit, Hoffnungs- und Lustlosigkeit. Doch Burn-out-Betroffene werden beherrscht von Angst und Wut. Sie neigen zur Selbstüberschätzung, während Depressive sich kaum etwas zutrauen, weil Trauer und Melancholie sie blockieren. »Außerdem äußert sich eine Depression mehr psychisch, während der Burn-out stets mit physischen Problemen einhergeht.« Depressive würden kaum über Kopfschmerzen klagen, während Burn-out-Patienten stressbedingt mit einer Palette an psychosomatischen Beschwerden aufwarten: Kopf- und Rückenschmerzen, Tinnitus oder Hörstürze, Herzkreislaufbeschwerden bis hin zum Herzinfarkt oder Schlaganfall sowie Magen-Darmprobleme: »Geht ein Patient mit Magenschmerzen zum Arzt, wird die Magenschleimhautentzündung behandelt«, mokiert Stoklossa, weiter würde nur selten geschaut. So hätten die Betroffenen oftmals einen langen Ärzte- und Therapiemarathon hinter sich, bevor sie die richtige Behandlung erhielten. Bliebe aber ein Burn-out für zwei Jahre unerkannt, könne die vollständige Regeneration schlimmstenfalls ebenso lange dauern.
Anzeichen ernst nehmen
Erste Symptome wie Erschöpfung, Anspannung und Resignation dürfe man auf keinen Fall auf die leichte Schulter nehmen, warnt sie: »Spätestens, wenn ich merke, das Wochenende reicht nicht, um die Akkus wieder aufzuladen, sollte ich schnellstens gegensteuern.« Die Ratschläge zur Vorbeugung decken sich weitgehend mit den Maßnahmen der erforderlichen Psychotherapie, wenn der Burn-out bereits ausgeprägt ist. Wichtig sei, die Einstellung zur Arbeit grundlegend zu verändern: »Dazu gehört, mal >Nein< zu sagen, sich bei schwierigen Aufgaben Unterstützung zu holen oder diese gar abzugeben.«
Ehrgeizige Menschen mit zwanghaftem Perfektionismus oder einem Helfersyndrom sollten lernen, sich und ihre Grenzen zu akzeptieren und einzuhalten. Zudem hilft ein Zeitmanagement, einen Teil der Energie auf den Freizeitbereich zu lenken. »Am besten, die Menschen machen sich Gedanken, wie sie am Wochenende entspannen möchten«, rät Stoklossa. Sie sollten nicht stets den gleichen Rhythmus leben, aus dem Alltag ausbrechen und Dinge tun, die Spaß gemacht haben, bevor sie in der Tretmühle landeten. »Sportliche Aktivität und Entspannung müssen dauerhaft in den Alltag integriert werden, aber wohldosiert, nicht zu wenig und nicht zu exzessiv.« Die Expertin empfiehlt, regelmäßig Entspannungstechniken anzuwenden, sich mit Freunden und Bekannten zu treffen und weitgehend auf Genussmittel wie Kaffee, Zigaretten und Alkohol zu verzichten. Nur durch eine rigorose Lebensumstellung wäre das Fortschreiten der Symptome zu verhindern oder ein bestehender Burn-out zu heilen.